Zum Abschied eine Blume für die Eltern

4. September 2024
Der Kindergartenstart bedeutet eine Ablösung von Vater und Mutter; er bringt Herausforderungen und braucht Vertrauen. Ein Augenschein am ersten Tag des Schuljahres im Kreuzweg und ein Interview mit einer Kindergärtnerin über die Herausforderungen. 

«Sie wäre gerne schon vor einem halben Jahr hierhergekommen», sagt die Mutter über Oana. Sie habe ab und zu ihren Bruder besucht. Eine Gruppe Vier- und Fünfjähriger steht im Kreuzweg vor dem Kindergarteneingang. Sophia strahlt und sagt: «Ja, ja, ich freue mich.» Ihre Mutter spricht von einem wichtigen Schritt. Ältere Geschwister habe die Tochter nicht, sie kenne den Kindergarten von der Cousine. Fünfmal habe man den Weg von der Rietwies geübt. 

Den orangefarbenen Streifen tragen sie schon. Er ist mit Informationen am «Bsüechlitag» abgegeben worden. «Grüezi Simon, schön, bist du da.» Kindergärtnerin Barbara Nef Looser weist die Kinder darauf hin, sich zu merken, bei welchem Tierbild der Streifen aufgehängt wird. Von einem Knaben bekommt sie eine Zeichnung. Ein paar Kinder beginnen im Stuhlkreis zu spielen, während die Eltern die Telefonliste kontrollieren. 

«Sollen wir noch ein wenig knuddeln?»
Die Gruppe der «Grossen» kommt ebenfalls ins Zimmer. Die Kindergärtnerin begleitet auf der Gitarre im Kreis ein Lied, es folgt ein lustiges Spiel mit einem Glöcklein. Jobsharingkollegin Kathrin Gantenbein erklärt: «Vielleicht brauchst du noch Zeit, um Abschied zu nehmen. Wenn es für dich gut ist, dass Mami und Papi schon nach draussen gehen oder einen Kaffee trinken, dann bring ihnen eine Sonnenblume.» Ein kleines Mädchen meldet sich als erstes; andere folgen. «Sollen wir noch ein wenig knuddeln?», fragt eine Mutter. Da ein Küsschen, dort ein Winken. Nach und nach vertiefen sich die Kinder bei den Farbstiften, dem Puzzle, dem Puppenhaus. Eine Mutter setzt sich kurz an den Tisch mit den Wasserfarben. «Es war diesmal ein sehr schöner Start», stellt die Kindergärtnerin fest.

 

«Manchmal hilft ein Kuscheltier»
Barbara Nef Looser (links im Bild) ist seit 36 Jahren Kindergärtnerin in Herisau. Aktuell führt sie mit Kathrin Gantenbein den Kindergarten A im Kreuzweg. Zehn Kinder gehören der jüngeren Gruppe an, elf der älteren.

Welches sind die grössten Herausforderungen zu Beginn eines Kindergartenjahres? 
«Dass die Kinder die Regeln kennen: So gilt es, ein ‹Chlüpperli› in der Liste anzuklammern, damit klar ist, wer wo spielt. Oder: Wir tragen Finken; Znünitaschen gehören in den Korb. Natürlich kann auch die Sprache eine Herausforderung sein, mit den Kindern geht das aber recht gut. Wichtig ist, dass fremdsprachige Eltern die Informationen verstehen – etwa zum Stundenplan, Znüni oder Waldmorgen.»

Wie gewinnt eine Kindergartenlehrperson das Vertrauen der Kinder?
«Durch Beziehungsarbeit. Ich rede oft auf Augenhöhe mit ihnen, indem ich mich in die Hocke begebe. Persönliche Gespräche schaffen Kontakt – wie die Frage, ob das Kind am Morgen selber aufgewacht ist oder geweckt werden musste. Oder Bemerkungen zu den schönen Zöpfen oder den neuen Leucht-Turnschuhen.»

Wie können Erziehungsberechtigte beim Start helfen?
«Indem sie sich und ihrem Kind etwas zutrauen, es immer wieder stärken und ermutigen. Sicherheit bietet auch, wenn sie den Weg zum Kindergarten vorgängig zu Fuss üben. Wichtig ist der gute Austausch mit der Lehrperson, um Schwierigkeiten sofort zu klären.»

Wie gehen Sie vor, wenn ein Kind weint, in der Ecke sitzt und fragt, wann der Kindergarten zu Ende ist?
«Viele Kinder lassen sich schnell ablenken, mit einem Spiel, einem Gespräch, einer anderen Aktivität. Manchmal hilft emotional ein Kuscheltier oder ein Schal von zuhause, der nach der Mama riecht. In den ersten Tagen dürfen die Eltern auch noch hereinkommen. Nach und nach dauert die Verabschiedung kürzer. Wichtig ist ein ehrlicher Abschied: ‹Davonschleichen› wäre ein Vertrauensbruch. Ab und zu ist die Trennung für die Eltern schwieriger als für das Kind.»

Es geht in einer Kindergartenklasse nicht immer harmonisch zu. Kinder können überreizt sein von der Vielfalt der Eindrücke. Was unternehmen Sie?
«Die Kinder können sich selber einen Pamir als Schutz aufsetzen. Es steht auch ein Hochbett zur Verfügung, wenn Kinder müde sind oder sich zurückziehen wollen. Viele finden im Zeichnen Ruhe. Aggressive Momente können manchmal aufgefangen werden, indem die Klassenassistentin mit einem Kind nach draussen geht.»

Die neuen Kindergartenkinder spielen kurz nach dem Eintreffen im Kreuzweg.
Die neuen Kindergartenkinder spielen kurz nach dem Eintreffen im Kreuzweg.

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