«Gesundheit hört nicht vor der Bürotür auf»
Christoph Bertschinger, wann sind Mitarbeitende gesund?
Gesund ist jemand, der sich aktiv, planvoll und zielgerichtet in seiner Welt bewegt, sich einbringen und mitgestalten, seinen Zielen und Träumen nachgehen kann. Also jemand, der sich weiterentwickelt. Dafür braucht es einen Sinn im Leben, für den sich ein Engagement lohnt. Das gilt auch für den beruflichen Alltag: Erkennen wir in der Arbeit keinen Sinn, ist das weder motivierend noch gesund. Und schliesslich braucht es eine Balance zwischen Phasen der Aktivität und der Ruhe; diese Ausgewogenheit beginnt bereits am Arbeitsplatz.
Können Sie das ein wenig ausführen?
Die Trennung zwischen Arbeitswelt, in der man stets Leistung erbringen muss, und Freizeit, die man zur Entspannung nutzt, ist bezüglich Gesundheit nicht mehr zeitgemäss. Die Gesundheit hört nicht einfach vor der Bürotür auf. Sowohl für die Zufriedenheit der Mitarbeitenden als auch für den Arbeitgeber ist es wichtig, dass wir die Gesundheit im Beruf nicht vernachlässigen. Sie beginnt bei kleinen Dingen wie einem ergonomischen Arbeitsplatz und setzt sich bei der Art und Weise fort, wie sich Vorgesetzte verhalten. Es ist nachgewiesen, dass zufriedene und motivierte Menschen produktiver sind – genau diesen Effekt wollen wir erreichen.
Wie zeigt es sich, wenn die Gesundheit am Arbeitsplatz nicht stimmt?
Unsere heutige Gesellschaft ist leistungsbezogen, gerade was die Arbeitswelt angeht. Es wird immer mehr von den Mitarbeitenden verlangt, das kostet viel Energie. Diese fehlt uns wiederum in anderen Bereichen des Lebens. Die berufliche Belastung ist sicherlich ein Mitgrund, weshalb beispielsweise sehr viele Vereine kaum noch neue Vorstandsmitglieder finden oder Ehrenämter nicht mehr besetzt werden können. Die Menschen sind weniger bereit, sich in ihrer Freizeit weitere Verpflichtungen aufzuhalsen.
Welche Rolle nimmt nun das betriebliche Gesundheitsmanagement ein?
Mitarbeitende sind dann zufrieden, wenn sie in einem gesunden Unternehmen arbeiten. Wenn wir in einem schlecht funktionierenden Team oder einem angstfördernden Arbeitsklima tätig sind, schlägt sich das auf die Gesundheit nieder. Hier gibt es verschiedene Stellschrauben, die wir drehen können: Kommen die eigenen Kompetenzen richtig zur Geltung? Werden Konflikte erkannt und ausgeräumt? Sind die Führungspositionen mit den passenden Personen besetzt? Stehen genügend personelle Ressourcen für die anfallenden Arbeiten zur Verfügung? Bei solchen Themen setzt ein Gesundheitsmanagement an, damit ein gesundes Arbeitsumfeld entsteht.
Wie genau soll das erreicht werden?
Wir agieren in drei Bereichen: Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz beinhalten Themen wie ergonomische Arbeitsplätze, Massnahmen zum Schutz der Persönlichkeit oder klare Notfallkonzepte. Wir hatten zum Beispiel eine einstündige Instruktion zur Ergonomie mit anschliessender individueller Beratung am Büroarbeitsplatz. Bei der Gesundheitsförderung evaluiere ich das Arbeitsklima und die Belastung, sensibilisiere Führungskräfte für den korrekten Umgang mit ihrem Team und gebe Anregungen zu gesundem Verhalten. Aktuell läuft die Vortragsreihe «Die Balance im Arbeitsalltag halten» mit Inputs zu Achtsamkeit, gesundem Schlaf oder Sehtraining. Und beim Absenzen- und Case-Management geht es um die Re-Integration. Ich begleite beispielsweise Mitarbeitende, die nach einem längeren Ausfall wieder in den Arbeitsalltag integriert werden.
Was sind die grössten Herausforderungen in Ihrem Alltag?
Unsere Gemeindeverwaltung ist eine Organisation mit unterschiedlichsten Ressorts, die weitestgehend autonom funktionieren und unterschiedliche Betriebskulturen leben. In dieser Heterogenität ist es schwierig, eine gesundheitsgerechte Führungskultur zu etablieren. Eine weitere Herausforderung ist die hohe Arbeitslast in Ressorts, bei denen wir die Auftragslage nicht steuern können. Ein Beispiel: Ein Baugesuch muss innerhalb einer gewissen Frist bearbeitet werden. Wenn die Anzahl Baugesuche in einem Jahr massiv steigt und die personellen Kapazitäten nicht aufgestockt werden können, kommt es zu systematischen Überlastungen. Da kann ich den Mitarbeitenden nicht einfach sagen: «Ihr müsst euch mehr bewegen und Atemtechniken zur Entspannung anwenden.»
Wie reagieren Sie dann?
In solchen Fällen überprüfen wir zuerst die Strukturen und Abläufe. Wenn die personellen Ressourcen erweitert werden müssen, braucht dies in den Verwaltungsstrukturen seine Zeit. Das bedeutet, die Mitarbeitenden in der betroffenen Abteilung müssen diese Belastung über einen längeren Zeitraum stemmen können. Da versuchen die Führungspersonen und der Personaldienst, die Gesundheit der Mitarbeitenden mit kleinen Tipps und Tricks und mit einer wertschätzenden Führung zu fördern.
Wie sind die Rückmeldungen der Mitarbeitenden auf Ihre Arbeit?
Es gibt Mitarbeitende, die mich aktiv aufsuchen oder die Vorträge regelmässig besuchen. Auch von etlichen Führungskräften erhalte ich positives Feedback und sehe, wie sie mit gutem Beispiel vorangehen. Führungspersonen spielen eine entscheidende Rolle für das Arbeitsklima und agieren als Hebel: Wenn sie mitziehen und eine gesunde Kultur in ihrem Bereich herrscht, wirkt sich das wohlwollend auf Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeitenden aus.
Was macht Ihren Alltag so spannend?
Eine Gemeindeverwaltung ist wie ein Gemischtwarenladen. Die Mitarbeitenden sind ein Querschnitt durch die Bevölkerung, was Status, Bildungsgrad, Herkunft oder Berufskultur angeht. Entsprechend brauchen die Mitarbeitenden des Werkhofs oder Gartenbauamts eine andere Herangehensweise als jene, die am Bildschirm tätig sind. Diese Vielfalt ist spannend und herausfordernd.
Lässt sich ein positiver Effekt des BGM mit Zahlen belegen?
In den vier Jahren, in denen ich für die Gemeinde tätig bin, haben sich die kürzeren Absenzen von bis zu 30 Tagen deutlich reduziert. Auch die Krankentaggelder belegen, dass die Gemeinde «gesünder» geworden ist. Leider kann ich eine Steigerung der Zufriedenheit und der Motivation der Mitarbeitenden nicht mit Zahlen belegen, da wir keine systematische Befragung durchführen.
Sie sind 68 Jahre alt und wären längst pensioniert, arbeiten aber noch zwei Jahre weiter. Sie haben in dieser Zeit vieles gesehen und erlebt. Wo wünschen Sie sich ein Umdenken für eine gesündere Arbeitswelt?
Wie bereits erwähnt spielen die Führungskräfte eine entscheidende Rolle. Für die Gemeinde wünsche ich mir eine bewusstere Auseinandersetzung, welche Führungsstile gelebt und welches Arbeitsklima herrschen sollen. Dabei gilt es im offenen Dialog die Balance zwischen den «Unterschiedlichkeiten der Ressorts» und der «Verbundenheit und Zugehörigkeit zur Verwaltung» zu finden.
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