Emil Schiess geht in Pension

15. Januar 2009
Eine lange Karriere geht zu Ende: Über 40 Jahre stand Emil Schiess im Dienst der Gemeinde Herisau. Nun geht er in Pension; am 15. Januar hat er seinen letzten Arbeitstag. Auf den neuen Lebensabschnitt freut er sich.
HERISAU. 1962 ereignete sich mehr oder weniger Geschichtsträchtiges: Die sogenannte Kubakrise drohte in einen Atomkrieg zu eskalieren; sechs junge Briten gründeten die Rolling Stones; in der Nähe von New York wurde der spätere Hollywood-Star Tom Cruise geboren; in Rüschlikon am Zürichsee starb Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler, und in Herisau begann der erste Stift der Gemeindeverwaltung seine Lehre: Emil Schiess, Bauernsohn aus Schwellbrunn.

Happige Zeit

47 Jahre später blickt Emil Schiess auf eine aussergewöhnlich lange Karriere auf der Herisauer Gemeindeverwaltung zurück. Die dreijährige Lehrzeit nicht eingerechnet, stand er 40 Jahre und neun Monate im Dienst der Gemeinde. Damit verbrachte er fast sein ganzes Berufsleben an der Poststrasse 6. Einzig nach der Lehre folgte ein Abstecher zum kantonalen Grundbuchamt Schaffhausen.

Während dieser Zeit eignete er sich das St. Gallische Grundbuchverwalterpatent an. 1968 kehrte er auf dem Berufungsweg nach Herisau zurück und setzte auf dem Grundbuchamt die seit vielen Jahren stehengebliebene Grundbuchbereinigung fort. Ab 1972 war er sieben Jahre lang Grundbuchverwalter.

1980 wählte ihn die Stimmbevölkerung zum Gemeindeschreiber. Rückblickend sagt er, sei die Gemeindeschreiber-Zeit «happig» gewesen. Die Gemeindeverwaltung verfügte damals noch über keinen eigenen Rechtsdienst, weshalb Schiess zahlreiche Rekurse zu bearbeiten hatte. Zudem traf sich in jener Zeit auch der Einwohnerrat häufiger zu Sitzungen als heute. Vor allem aber vermisste Schiess den Kontakt zur Bevölkerung.

Nach fünf Jahren wechselte er ins Erbschaftsamt, wo er eine Aufgabe antrat, die ihn die kommenden 24 Jahre begeistern sollte. Über 4000 Erbteilungen hat er vorgenommen, und nur eine, fügt er stolz an, sei vor Gericht gelandet.

Eine erstaunliche Quote angesichts der Brisanz, die häufig mit Erbschaften verbunden ist. Streitigkeiten sind nicht selten. Mit etwas Überzeugungsarbeit oder sanftem Druck konnte er jedoch fast immer eine Lösung herbeiführen. Zudem habe er Hand geboten für «volkstümliche» Lösungen, die nicht immer buchstabengetreu nach Gesetz gewesen seien.

In der Zeit als Leiter des Erbschaftsamtes hat er viele spannende Geschichten erlebt. Er erzählt von einem Altledigen, der bescheiden in einem kleinen Haus gelebt habe. Zusammen mit den Erben durchsuchte Emil Schiess das Haus nach Geld. Im Keller wurden sie schliesslich fündig. Unter einer Plache waren in einer feuchten Geldkassette Tausendernoten im Wert von über 100 000 Franken versteckt.

Gerne gearbeitet

Nun räumt Emil Schiess sein Büro 410 im obersten Stock des Gemeindehauses. Am 15. Januar hat er seinen letzten Arbeitstag; Ende Monat wird der 63jährige offiziell pensioniert. «Ich bin jeden Tag gerne arbeiten gegangen. Wenn ich noch einmal jung wäre, würde ich wieder alles gleich machen», zieht er Bilanz.

Trotzdem freut er sich auf den neuen Lebensabschnitt. Er will sich frei machen von Terminen, unabhängig von der Agenda leben und mehr Zeit für seine zahlreichen Hobbies haben. Einmal pro Woche wird er zudem sein Grosskind hüten.

Rücktritt als Vermittler

Deshalb gibt Emil Schiess per Ende Mai auch sein Vermittleramt auf, das er 20 Jahre bekleidete. In unzähligen Fällen sorgte er dafür, dass Streitigkeiten nicht vor Gericht endeten.

Ausbauen wird er stattdessen sein Engagement für die Baugenossenschaft Hemetli, deren Vizepräsident er ist. Er übernimmt zur Entlastung des Präsidenten alles, was mit der Vermietung der 250 Wohnungen zusammenhängt.

(Quelle Text und Foto: Appenzeller Zeitung, Patrik Kobler)
Emil Schiess
Als Leiter des Erbschaftsamts führte Emil Schiess 4000 Erbteilungen durch.